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Gegen deutsche Kriege

1. März 2009 7 01 /03 /März /2009 09:05

Der Winter kam früh, schon im Dezember schneite es, der Schnee lag bis in den Februar,

und am Weddingplatz hing ein Thermometer an einem Mauerrest, die Leute standen drumherum und staunten: Bloß zwanzig Grad? Sie trampelten von einem Fuß auf den anderen, und mit eingezogenen Schultern gingen sie in ihre notdürftig geheizten und ungeheizten Stuben.

Die Mutter lud Jo zu einer Schlittenpartie ein. Schwester Veronika war kein Baby mehr, sie konnte schon laufen, und Jo sollte sie auf dem Schlitten festhalten. Großmutter schimpfte: „Also, als ob Rita nicht allein gehen kann, die Veronika hat derweil doch auch noch Platz in meiner Stube. Bei diesem Wetter! Die Kinder erfrieren sich ja das Pochen auf dem Schlitten. Ach, die Rita kommt nach Otto, immer der dicke Kopp. Und sowas will nun meine Tochter sein."

Die Mutter fuhr mit dem Schlitten durch die Straßen, sie stemmte sich gegen den Eiswind, der durch den dünnen Mantel schlüpfte, als trüge sie ein Sommerkleid und nichts darunter, und der Weg zum Amt war weit. Veronika wimmerte, Jo umklammerte sie noch fester, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, beruhigte sie: „Heul nicht. Wir sind ja gleich da. Mutti, renn mal ein bisschen, Veronika flennt! Und meine Füße sind schon ganz kalt. Meine Hände auch!"

Als sie in der Gerichtsstraße ankamen, hatte Veronika schon keine Kraft mehr zum Wimmern.

Erstarrt wie Eismännchen saßen die beiden Töchter auf dem Schlitten. Die Mutter putzte ihnen die Nasen und rieb ihre Hände. „Puste, puste, heile, heile Gänschen." Den Weg nach Hause legte sie im Galopp zurück, die weinenden Töchter auf dem Schlitten.

Großmutter empfing die Enkeltöchter wortlos, drehte entschlossen den Hahn am Ausguss auf und hielt ihre Hände bis zum Ellbogen unter das kalte Wasser. Die Kinder schrien vor Schmerz. „Ein Glück, dass wenigstens das Wasser in der Küche nicht eingefroren ist, die Männer kümmern sich gottseidank um die Rohre im Keller, da kann man wenigstens im Klo nachspülen. So ein Unverstand! Dir muss man was sagen, Rita, du machst deine eigenen Kinder noch zu Krüppeln. Und marsch, gleich ins Bett. Ich mach die Wärmflasche heiß."

Jo lag mit Großmutter im Bett. Im Zimmer war es dunkel, also war es Nacht. Das rechte Ohr piekte, dann zuckte der Schmerz durch den ganzen Körper. Jo stöhnte. Großmutter drehte sich herum zu ihr. „Wo tut es denn weh? Das Ohr? Warte bis morgen früh, dann wickle ich dir ein Handtuch drum. Die dusslige Göre, denkt so weit, wie der Wannsee schön ist. Deiner Mutter, was sag ich, deiner Rabenmutter müsste man ..."

Sie verriet nicht, was man Jos Rabenmutter müsste. Am nächsten Morgen fieberte Jo, und die Großmutter holte den Doktor. Der guckte unerbittlich ins Ohr wie ein Einäugiger in ein Felsloch, der dort den Schatz seines Lebens erspähte. Jo weinte. „Mittelohrentzündung. Man kann nur hoffen, dass Eiter kommt." Der Doktor rieb sich die erstarrten Finger.

Der Eiter kam. Jo musste im Bett bleiben, den Kopf dick umwickelt. Siggi hatte seinen Schal gespendet. „Du Kaninchen", sagte er, „soll ich dir was vorlesen?" Jo nickte begeistert. „Aber laut, ich hör nichts mehr auf dem Ohr."

Siggi war einverstanden. „Dann brüll ich dir ‚Hänsel und Gretel‘ ins andere Ohr."

„Nein, nicht ‚Hänsel und Gretel‘!" Jo überlegte. „Lies mir lieber was anderes vor. Warum es so kalt ist und warum mein Ohr weh tut, weil der Sommer so schön war. Und lern mir bis hundert zählen. Bitte, lieber Onkel Siggi."

„Dir werd ich noch mal was erklären wollen", sagte Siggi. „Naja, will mal nicht so sein. Bis fünfzig, höchstens. Sonst bist du zu schlau für deinen Lehrer, und dann kannst du dir den Hintern einseifen."

Siggi hatte recht. Schlauheit zahlt sich nicht aus, wenn man dafür den Hintern einseifen muss.

„Gut, bis fünfzig. Vorwärts und rückwärts."

Siggi begann zu zählen: Eins, zwei, drei, vier, fünf ... Und als er bei dreißig angekommen war, schlief Jo schon.

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