An einem Weg, abseits der Straßen, wucherten schon seit vielen Jahren wilde Sträucher.
Im Frühjahr mischte sich das helle Grün der Blätter mit dem Weiß der Blüten. Im Sommer herrschten dunkle Grüntöne, die kaum einen Blick auf das Grau der Triebe zuließen.
Die Menschen, die gelegentlich den Weg entlangkamen, hatten längst den Namen der Sträucher vergessen, den sie selbst ihnen einst gegeben. Die Sträucher aber taten das, was sie seit Tausenden Jahren schon getan hatten: Sie hielten ihre Blätter ins Sonnenlicht und verschenkten Sauerstoff an die Luft.
Eines Tages jedoch drängelte sich ein langer nackter Trieb durch das dichte Strauchwerk. Es war ein einsamer Trieb, zum einen, weil er so lang und so kahl war, vor allem aber, weil an seinem Ende vier unglückliche dunkelrote Blättchen ins Licht züngelten. Die vier schämten sich.
„Wie sehen wir denn aus?“, rief eines von ihnen, „so eine seltsame Farbe zwischen all dem nützlichen Grün.“
„Jammere nicht“, antwortete das zweite Blatt. „Wir sehen zwar anders aus als alle anderen, aber wir sind genauso nützlich wie sie.“
Das Blatt, das zuerst gesprochen hatte, schaukelte zweifelnd im Wind hin und her. „Wer glaubt uns aber, dass auch unser Sauerstoff die Luft wertvoller macht? Es wäre ja unheimlich wenig.“
Es war der wärmste Tag in jenem Sommer und es hatte so lange schon nicht mehr geregnet, da fiel das Blatt, das da geklagt hatte, zu Boden.
Dann kam der Herbst und die vielen grünen Blätter um sie herum färbten sich goldgelb, sodass sie weithin in der Sonne leuchteten.
„Ach“, sprach da das dritte Rotblatt. „So ein wundervolles Gelb. Wir fallen schon wieder auf. Sieh nur, die Menschen zeigen mit dem Finger auf uns.“ Traurig rollte es sich zusammen.
Der Herbst wurde älter und der Wind spielte vergnügt mit den abfallenden Blättern. Schließlich holte er auch dieses eine dunkelrote Blättchen mit zu einem letzten Tanz.
Kalt wurde es. So wie sommerzeits das Grün geherrscht hatte, verschenkte die feuchte Luft nun strahlend weiße Kristalle.
„Wie nackt frieren wir zwischen den vielen Zweigen, die sich mit silbernen Glitzersternchen bedeckt haben,“ klagte da das dritte rote Blatt dem vierten. „Schon wieder stören wir.“
Und als an einem schönen klaren Tag Menscheneltern mit mit ihren Kindern auf Schlitten an der Winterstrauchwelt vorbeiliefen, hing nur noch ein einzelnes, jetzt wirklich vollkommen einsames dunkelrotes Blättchen an dem langen Trieb. Das Ärmste hatte nicht einmal mehr einen Kameraden, dem es klagen konnte, wie sehr es fror. Doch dann rief das Kind auf dem Schlitten: „Schaut mal“,und wies mit seinem kleinen Finger hinauf zu dem Strauch. „Ein dunkelrotes Blatt! Ist das nicht schön?“
Als das Blatt das hörte, glühte es vor Stolz noch ein bisschen kräftiger rot und fror einen Augenblick lang kein bisschen mehr. Wenn das seine drei Freunde hätten hören können!.
Dann kam der nächste Frühling und siehe: Durch das dichte Buschwerk drängten sich viele lange nackte Triebe mit wenigen dunkelroten Blättchen daran. Und im nächsten Winter leuchteten sie alle im Licht der tiefstehenden Sonne.