11.7. Waisen (reimlose Zeilen innerhalb eines Reimgefüges):
(Weerth, Lebewohl)
Noch einen Kuß, noch einen Druck der Hand!
Und fröhlich zieh ich dann von Land zu Land;
Laß einmal noch der schwarzen Locken Pracht
Im Winde wehn, noch einmal singe sacht
Das schönste mir von deinen schönen Liedern!
oder:
(E.Möricke, Der Feuerreiter)
Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Mütze wieder?
Nicht geheuer muß es sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und auf einmal welch Gewühle
Bei der Brücke, nach dem Feld!
Horch! Das Feuergköcklein gellt!
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle!
11.8. Körner: Verse, die sich nicht innerhalb der gleichen Strophe, sondern mit bestimmter Verszeile einer anderen Strophe reimen.
(Goethe)
Feiger Gedanken
Bängliche Schwanken,
Weibisches Zagen,
Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.
Allen Gewalten
Zum Trotz sich erhalten,
Nimmer sich beuden,
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei!
11.9. Schlagreim (innerhalb einer Reihe 2 aufeinander folgende Wörter):
(Rilke, Der Panther)
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
So müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
Und hinter tausend Stäben keine Welt.
Sonderform Echoreim: ganze oder teilweise Wiederholung des letzten Wortes, eines als Frage formulierten Verses
(A.W.Schlegel, Waldgespräch)
Hier bin ich einsam, keiner hört die Klage. Klage!
Niemand vertrau’ ich mein verzagtes Stöhnen. Tönen.
Soll ich stets ungeliebt der Spröden fröhnen? höhnen.
Wie lang harr’ ich umsonst, daß es mir tage? Tage
Mich findet Gunst zu leicht auf ihrer Wage. wage!
Wem liegt wohl dran, mein Leben zu verschönen? Schönen.
So wird das holde Glück mich endlich krönen? Krönen.
Wer gibt mir frohe Kund’ auf jede Frage? frage!
Was ist dein Thun dort in den Felsenhallen? hallen.
Und was ist Schuld, daß du nur Laut geblieben? lieben.
So fühlst du etwas bei Verliebter Schmerzen? schmerzen.
Glaubst du, dein Spiel könn’ irgend wem gefallen? allen.
Wem wird es denn zu lieb mit uns getrieben? Trieben.
Wer sehnt sich leeren Widerhall zu herzen? Herzen.
Sonderform nachhallender oder endschallender Reim: Gleichklang zweier oder mehrerer Silben von der letzten Hebung an
(Fr.Rückert)
Die Ernt’ ist wie die Saat, drum, was ihr sät, seht!
Ein Tor, wer früh versäumt hat, und zu spät späht,
Wie wer den Braten wegwirft und das Bret brät.
Wer nie dem Rater folgt, der was mißrät, rät,
Und nie, was er gebaut, zerstört, der steht, stät,
Auf dieser ird’schen Welt, die selbst nicht stät steht.
Und horch! Und horch! Der Pfortenring
Ging lose, leise klinglingling!
…
Komm’, schürze, spring’ und schwinge dich!
…
Und Liebchen schürzte, sprang und schwang
Sich auf das Roß behende
oder:
(H.Heine)
Eine starke schwarze Barke
segelt trauervoll dahin
Die verstummten und vermummten
Leichenhüter sitzen drin.
Sonderformen:
a. Mittelreim: Reim im Inneren aufeinanderfolgender Verse
b. Mittenreim: Reim zwischen Versende und vorangehendem oder folgendem Vers;
c. Schlagreim: Gleichklang unmittelbar aufeinander folgender Wörter in einem Vers (s. unter 11.9)
d. Zäsurreim – Reim im Versinneren vor ener Zäsur
(Nibelungenstrophe)
Uns ist in alten maeren wunders vil geseit
von helden lobebaeren, von grôzer arebeit,
von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,
von küener recken strîten muget ir nu wunder hoeren sagen.
oder:
(aus Snorra-Edda)
Farar snarar fylkir byrjar,
freka breka lemr á snekkjum.
Vaka taka visat rekkar,
(usw)
11.11. Augenreim = Reim zwischen orthographisch identischen, versch. ausgesprochenen Worten:
Loge … Woge oder Frauchen … rauchen
11.12. Schleppreim: identischer Reim hinter dem richtigen Reim (meist in Scherzgedichten)
Ach komm hernieder, mache neu,
Den Frühling wieder mache neu.
11.13. gebrochener Reim: Reimbildung durch eine Silbe im Wortinneren (in verstärkender, oft humorvoller Absicht)
(Hans Sachs)
Hans Sachs war ein Schuh-
macher und Poet dazu
oder:
(W. Busch, Abenteuer eines Junggesellen)
Knarr – da öffnet sich die Tür,
Wehe! Wer tritt da herfür?
Madam Sauerbrod, die schein-
Tot gewesen, tritt herein.