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Gegen deutsche Kriege

12. Februar 2009 4 12 /02 /Februar /2009 09:57

 

Siggi erzählte später nicht viel von seiner Haft bei den Amerikanern, ein paar Sätze nur wie „Das Fressen war nicht schlecht" oder „Alles Schweine, die Amis" oder „Ihr wisst ja gar nicht, wie es war". Klara, die nicht in ihn dringen wollte, schickte hin und wieder einen mütterlichen Blick zu ihrem Sohn und seufzte ergeben.

Otto nahm sich den Siggi in der Stube vor. In der Küche hörte Klara sein Poltern: „Wir sind ehrliche Arbeiter, merk dir das, du Hundesohn! Und wenn es dir nicht passt, kannst du ja ausziehen! Du bist noch lange nicht erwachsen. Leiste erst mal was! Dreckskerl!" Wochenlang ging das so, dabei hatte Klara dem Jungen doch schon längst verziehen.

Friedensweihnachten, das erste - inmitten der Trümmer, der Hoffnungslosigkeit, der Stromsperren. Da war etwas wie ein Lichtschein bei den Neussens: Die Kinder, die Verwandtschaft, die sich wieder zusammenfand in Ottos guter Stube, Heidelinde durfte aus dem Krankenhaus zu Besuch kommen, Otto hatte sich rührig um Wärme gekümmert, Klara zwei Notkerzen noch aus dem Krieg auf den Tisch gestellt, wahre Werte in dieser Zeit. Und Anni, Ottos Schwester, kam mit einem Tütchen Bohnenkaffee, dem Muntermacher, den Klara so lange entbehrt hatte, dass sie sich den Geschmack guten Kaffees schon gar nicht mehr vorstellen konnte. Annis Mann, Schwager Leo, der verkrachte Architekt, der im ersten Weltkrieg in einen Gasangriff geraten war und dabei den rechten Lungenflügel verloren hatte, nutzte seine dubiosen halbeingeschlafenen Beziehungen aus, und so war Anni an ein Tütchen Bohnenkaffee geraten, und das war Mittel- und Höhepunkt des ersten Friedensweihnachtens in dem schlimmen Jahr fünfundvierzig. Wahrlich ein Lichtschein, Klara zauberte sogar etwas wie einen Kuchen aus Wasweißich auf den Weihnachtstisch.

Die Familie war um den Stubentisch versammelt: der Gastgeber Otto Neuss samt Ehefrau Klara, der Tochter Rita, zweier Enkel, nämlich Jo auf dem guten Sofa und Veronika auf Ritas Arm, die trübselige Heidelinde, die in der Küche nichts taugte (sie hatte eine Untertasse fallen gelassen, dass Otto das nur nicht mitbekam), die unverheiratete Tutti, Ottos Schwester mit den schwarzen Zähnen und dem Damenbart (von dem unseligen Rauchen, auch jetzt saß sie wieder da und rauchte eine Amizigarette und verqualmte Klara die Stube, woher sie das Geld nur hatte), der geschmeidige Leo mit der Fliege unterm Kinn und den hochgescheiten Wieselaugen und mit seiner Anni, Ottos Schwester, der Bohnenstange mit ihrem Brustkrebs, Gustav, Ottos Bruder, mit seiner Helma und dem missratenen Nachwuchs Werner, einem hochaufgeschossenen Jüngling mit Krächzstimme, von dem gemunkelt wurde, er habe bei den Wehrwölfen mitgetan. Die Stube war zum Bersten gefüllt. Nur Siggi fehlte.

Was nicht fehlte, war der Weihnachtsbaum vor dem pappevernagelten Fenster, eine strunkartige Fichte, die einen himmlischen Duft ausströmte, zwar ohne Kerzen, doch beinahe brach sie unter Klaras Baumschmuck aus Friedenszeiten zusammen. Klara hatte auf dem Baum bestanden, und Otto hatte sich vormittags noch murrend aufgemacht und dieses Prachtexemplar von Weihnachtsbaum mitgebracht. Ein Glück nur, dass man den Strunk verheizen konnte, hinterher, nach Neujahr.

Alles wartete. Otto verkündete, der Weihnachtsmann sei unterwegs, aber nur zu artigen Kindern, und nun spannte alles darauf, ob er auch bei Neussens an die Stubentür klopfen würde. Jo, die auf dem Sofa zwischen Rita und Tante Tutti eingeklemmt war, erschrak:

Das hatte sie nicht gewusst, dass der Weihnachtsmann nur zu artigen Kindern kam. Huch, irgendwas hatte sie bestimmt auf dem Kerbholz, und Erwachsene, klar, der Weihnachtsmann war auch ein Erwachsener, hatten immer was zu mäkeln an Kindern.

Es donnerte an der Stubentür. Die Erwachsenen grinsten sich an und starrten dann auf Jo. Sie schmiegte sich verängstigt an Tante Tutti. Der Weihnachtsmann! Der leibhaftige Weihnachtsmann! Er war doch noch zu Jo gekommen. Jo ließ Tante Tuttis Arm los.

„Gerade sitzen!" Rita gab der Tochter einen schmerzhaften Klaps auf den Rücken. Aber das spürte Jo gar nicht, fasziniert starrte sie auf den Weihnachtsmann, den sie nur aus dem dicken Märchenbuch kannte: mit weißem Bart, langem Mantel (im Buch war er rot, dieser Weihnachtsmann aber trug Klaras guten schwarzen Mantel), einer Schiebermütze auf dem Kopf, schneebedeckt (es hatte gar nicht geschneit, aber Jo vergaß es in ihrer Aufregung),

er trug einen prallen Kohlensack auf dem Rücken und stapfte zum Stubentisch. Das fiel ihm nicht leicht, schwer beugte er sich unter der Last und stolperte, weil er Siggis Hausschuhe anhatte, fing sich aber wieder. Alles kicherte. Grimmig blickte er von oben herab auf die nun doch wieder erschrockene Jo.

„Bin ich hier richtig", fragte er mit Brummstimme, „bei Neussens? Bei der frechen Jo und der niedlichen kleinen Veronika?"

Jo nickte, sie wagte nicht, den Mund zu öffnen.

„Du da", sagte der Weihnachtsmann, „du bist doch die Jo, kannst du auch ein Gedicht aufsagen?"

„Sitz grade, hab ich gesagt!" Rita gab der Tochter wieder einen Klaps auf den Rücken.

„Lieber guter Weihnachtsmann", begann Jo, ihr Herz klopfte, aber der Weihnachtsmann unterbrach sie: „Das kenn ich schon. Aber du kannst mir auch ein Lied singen, das von dem Tannenbaum."

Jo sang. „O Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter. Du grünst nicht nur zur Weihnachtszeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit, o Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter." Plötzlich hielt sie inne und sagte traurig: „Ich kann nur die erste Strophe. Oma hat keine Zeit gehabt, hat sie gesagt, mir auch noch die anderen zu lernen."

„Zu lehren, heißt es", sagte der Weihnachtsmann streng, „und mich. Merk dir das. Komm mal vor und bück dich. Jetzt zitterste, was? Was meinst du, warum ich die Rute beihabe? Warum ärgerst du immer deinen Onkel Siggi? Gehört sich das, du Rübe?"

Gehorsam bückte sich Jo. Der Weihnachtsmann schwang die Rute.

„Na, Weihnachtsmann", Otto mischte sich ein, „nu ist aber jenuch. Du wirst sie doch hier nicht verdreschen wollen! Gib ihr das Geschenk, du hast doch keine Zeit, du musst doch noch zu den anderen Kindern."

Der Weihnachtsmann sparte sich die Widerrede, kramte schnaufend im Kohlensack und zog etwas hervor. Jo erstarrte: eine Puppe! Eine richtige Puppe! Mit Haaren und Schlafaugen!

„Für mich?"

Der Weihnachtsmann brummte: „Haste nicht verdient. Aber ich werde mal nicht so sein, heute, wo Weihnachten ist."

 

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Kommentare

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